Dauerhaft Systemrelevant

Notbetreuung ist mehr als Aufsicht mit Abstand.

Ulli wurde in der Pandemie in der Notbetreuung eines Gymnasiums eingesetzt und berichtete uns davon wie die Situation für die Betreuungskräfte dort noch vor wenigen Wochen war:

Seit zwei Monaten übernehme ich auf Anweisung des Ministeriums für Schule und Bildung meines Bundeslandes gemeinsam mit meinem Kollegen und einigen Honorarkräften die Notbetreuung an dem Gymnasium, an dem ich als Schulsozialarbeiter*in arbeite. Wer denkt, es würden kaum Kinder geschickt werden, irrt sich.
Somit können die Lehrkräfte ihren Unterricht von zuhause aus halten und Eltern und Erziehungsberechtigte wiederum ihren Tätigkeiten nachgehen. Ich tue es gerne, um ihnen den Rücken freizuhalten, bzw. auch die Kinder zu unterstützen, denen es aus anderweitigen Gründen nicht möglich ist zuhause zu lernen. Auch wenn die Zeit für meine eigentlichen Aufgaben, wie psychosoziale Beratung, dadurch sehr eingeschränkt ist.

Mittlerweile haben fast alle Schulen erkannt, welch unverzichtbaren Beitrag Schulsozialarbeit für den Schulalltag leistet und beschäftigen entsprechende Fachkräfte. Doch diese Arbeit wird von außen nicht gesehen. So wird in den Medien ausschließlich davon gesprochen, ob Lehrer*innen nun geimpft werden sollen oder nicht, da wieder Präsenzunterricht ansteht. Dass wir Schulsozialarbeiter*innen und weitere Honorarkräfte an vielen weiterführenden Schulen bereits seit zwei Monaten vor Ort mit den Schüler*innen arbeiten, bleibt weitestgehend unbemerkt.

Zwar wurde Personal an Schulen inzwischen von Priorisierungsstufe 3 in Stufe 2 hochgestuft, aus der aktuellen Corona-Schutzimpfungsliste unserer Stadt wird allerdings klar, dass dies längst nicht für alle gilt: Impfberechtigt sind ab dem 8. März demnach Beschäftigte an Grund- und Förderschulen gewesen. Dazu zählen „[…] Lehrer_innen, Erzieher_innen und weitere Beschäftigte, die regelmäßig in den Einrichtungen tätig sind und Kontakt zur Zielgruppe haben, z.B. Integrationshelfer_innen, Sozialarbeiter_innen, OGS-Personal an Grundschulen und Frühförderpersonal.“(1)
Das bedeutet, dass Kolleg*innen, die an einer Förderschule arbeiten, wo der Unterricht an vielen Schulen nur teilweise in Präsenz durchgeführt wird, sich nun impfen lassen können (was ich gerechtfertigt finde), während wir aber seit den Weihnachtsferien den kompletten Tag lang eine ganze Gruppe an Schüler*innen vor Ort betreuen, Hygienemaßnahmen teilweise nur schwer einzuhalten sind (2) und für uns keine Impfung in Sicht ist. Ebenso wenig wie für die Lehrkräfte in allen anderen Schulformen, obwohl laut unserer Schulministerin der Präsenzunterricht ja schnellstmöglich an allen Schulen wieder beginnen soll. Einerseits gibt es also eine Anordnung, gleichzeitig wird aber nicht für eine Anpassung von angemessenen Arbeitsbedingungen gesorgt.

Die Kinder brauchen jetzt besonders viel Zuwendung und Aufmerksamkeit, Trost und Unterstützung, das Gefühl von Sicherheit, Gespräche und jemanden, der ihnen zuhört und sich ihrer annimmt. Das Arbeitsfeld in der Notbetreuung umfasst bei Weitem mehr, als nur das Beaufsichtigen der Schüler*innen bei ihren Aufgaben und Videokonferenzen. Hier geht es darum, ein feines Gespür zu haben und genau hinzusehen, wie die Lebenssituation jedes einzelnen Kindes aussieht – wie Familien oder Bezugspersonen mit der Situation zurecht kommen und darum, dass jedes Kind eigene vielfältige Bedürfnisse und Herausforderungen zu meistern hat, auf die eingegangen werden muss.

Nachtrag:

In der letzten Woche gab es nun den Fall, dass die Eltern zweier Kinder aus der Notbetreuung positiv getestet wurden. Die beiden Kinder mussten daraufhin die Betreuung verlassen und sich in Quarantäne begeben. Die Eltern sind allerdings nicht dazu verpflichtet, ihre Kinder testen zu lassen. Wären die beiden ebenfalls positiv, würde die gesamte Gruppe als K1 eingestuft werden und alle müssten in Quarantäne. Da der Schule aber zumindest kein Testergebnis vorliegt, passiert gar nichts und es wird Tag für Tag einfach nur gehofft, dass alles gut geht. Mir wurde vom testenden Arzt geraten, zu beobachten, ob ich Symptome entwickle und mich mehrmals wöchentlich testen zu lassen. Es bedarf dringend einer Priorisierung des Gesundheitsschutzes für die Beschäftigten an allen Schulen, die Kinder und Jugendlichen betreuen. Hierzu gehören umsetzbare und langfristige Hygienekonzepte, bereitgestellte Masken (darunter auch medizinische Masken, die Kindern passen), ausreichende Schnelltests, und vor allem eine schnellere Impfstrategie!

Wie wurden eure Arbeitsfelder in die Impfprisorisierungen eingeordnet und wie sind eure Arbeitgeber*innen damit umgegangen? Berichtet uns davon auf https://dauerhaft-systemrelevant.de/unterstuetzen/

(1) https://bportal.staedteregion-aachen.de/staedteregion-a-z/-/egov-bis-detail/dienstleistung/465901/show
(Stand 04.03.21)

(2) Beispiele aus den letzten Wochen:

  1. Ein Kind verheddert sich beim Ausziehen seiner Jacke und der Reißverschluss klemmt. Alleine kommt es dort nicht mehr hinaus. Ich kann ihm nicht helfen und gleichzeitig Abstand halten.
  2. Einem Kind reißt die Maske, es hat aber keine zweite dabei. Die Ersatzmasken, die die Schule zur Verfügung stellt, sind Einheitsgrößen und passen den Kindern nicht. Generell tragen viele Kinder Masken, die ihnen viel zu groß sind und somit unwirksam.
  3. Ein Kind stürzt in der Pause, verletzt sich und weint bitterlich. 1,5m Abstand halten oder trösten und versorgen? Die Liste an weiteren Beispielen ist lang und wie unrealistisch es ist, dass Kinder in der Pause beim Spielen den Abstand ständig einhalten, leuchtet wohl ebenfalls ein.