Kim aus der ambulanten Familienhilfe schreibt uns den folgenden Tagebuch-Eintrag:
16.03.2020. Mein erster Arbeitstag im neuen Job in der ambulanten Familienhilfe… oder nicht? Nein. Corona. „Lockdown“ ab dem 16. März.
Und ich? Ich bekomme Sonntagabend um 20 Uhr eine Mail mit dem Inhalt: „Wir wissen gerade noch nicht, was die Einschränkungen für uns bedeuten. Bitte kommen Sie morgen erst mal noch nicht.“
Na gut, erst mal abwarten. Am nächsten Tag dann ein Anruf: „Wir gehen nicht mehr in die Familien, außer in absoluten Notfällen, alles was geht wird telefonisch erledigt, die Projekte finden nicht statt.“ Einarbeitung? So nicht möglich.
Dafür bräuchte der Bereich der Geflüchtetenhilfe Unterstützung. Das ist zwar leider so gar nicht der Bereich, in dem ich arbeiten möchte, aber gut. Man muss ja froh sein gerade einen Job zu haben, arbeiten gehen zu können, ein Gehalt zu bekommen. Und ist ja nur für ein paar Wochen…
Doch dann werden aus den Wochen Monate. Monate, in denen ich nie weiß, wann und ob ich in meinen eigentlichen Job wechseln kann. Monate, in denen ich immer irgendwie an der Stuhlkante sitze, weil ich ja hier eigentlich nicht richtig hingehöre. In denen ich in verschiedenen Wohnheimen sitze, je nachdem, wo grade vielleicht jemand fehlt. Monate, in denen man immer mehr davon hört, dass mit einem Anstieg von häuslicher Gewalt gerechnet wird, von Kindesmissbrauch, von Überforderung und Depression, von Jugendlichen die von Zuhause weglaufen.
Von Bekannten, die in der Familienhilfe arbeiten, höre ich: „ich telefoniere mir die Ohren wund“, „ich muss trotzdem zu manchen Familien, das geht nicht anders“, „ich treffe meine Klient*innen draußen, um die Familien wenigstens etwas zu entlasten“ und „ich kann nicht mehr“.
Und ich? Möchte helfen, möchte in dem Bereich arbeiten, den ich mir ausgesucht habe, in dem ich zumindest schon etwas Erfahrung habe, in dem anscheinend gerade jede Hand gebraucht wird. Aber ich darf nicht, ich kann nicht. Immer noch keine Möglichkeit mich einzuarbeiten, mich dazu zu holen.
Währenddessen werden wir im Wohnheim vorgeschickt. Vom Hausmeister, der nicht kommen darf: „Könnt ihr euch das mal anschauen und mir sagen wie schlimm es ist?“, von den Familienhilfen die nicht kommen dürfen: „Wie geht es Familie xy, könnt ihr nicht mal nach ihnen schauen?“. Wir sollen ja nicht durchs Wohnheim gehen, nur mit Abstand beraten, haben lange keine Masken, keine Plexiglasscheibe. Aber wer macht es sonst?
Dann endlich, langsam kommen die Lockerungen. Für alle, nicht aber für die Bewohner*innen. „Frau G., warum dürfen mich meine Eltern/meine Cousine/meine Freundin immer noch nicht besuchen? Man darf doch sonst schon wieder alles“. Ich weiß es nicht. Vorgabe der Stadt.
Und ich? Sitze immer noch hier. Immer noch keine Einarbeitung, immer noch kein Wechsel, immer noch kein Weg. Vielleicht aber doch. Hier in den Wohnheimen. Im Kleinen. Bei Anträgen, bei Terminen. Oder einfach mal mit einem offenen Ohr. Hilfe für Familien, die ich kennenlernen durfte. Anders als gedacht, als gewollt. Und doch sinnvoll. Und manchmal auch richtig schön.
Wie geht es dir in deinem Arbeitsfeld während der Pandemie? Wenn du uns auch etwas zu erzählen hast, dann schreib uns deine Geschichte unter https://dauerhaft-systemrelevant.de/unterstuetzen/.