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Blick auf ältere Menschen – Tagebuch von Alex Teil 2

Wie hat sich der Blick auf ältere Menschen in der Corona-Zeit verändert?
Von Mitte März bis Ende Mai hat sich Alex mit dem Blick auf ältere Menschen in der Corona-Zeit befasst. Einige Einblicke sind hier zu lesen.

Teil 2

Eintrag vom 14.04.2020

Liebes Tagebuch,
als ich heute in der Suchfunktion „wie hat sich der Blick auf ältere Menschen in der Corona-Zeit verändert?“ eingegeben habe, kam ich zu einem Spiegel-Online Artikel, der mir teilweise sehr aus dem Herzen spricht. Hier geht es um das durch die Medien angewendete Framing, dass ältere Menschen in dieser Zeit nur als sogenannte Risikogruppe sieht und sie dadurch stark stigmatisiert. Im Artikel wird aber nochmals darauf hingewiesen, dass die Risikogruppe diejenigen sind die Vorerkrankungen aufweisen und derzeit umfasst die Zahl der Erkrankten die Altersspanne zwischen 35 und 59 Jahren, der Altersmedian liegt bei 49 Jahren. Ich möchte hier das Magazin zitieren, welches treffend geschrieben hat „Um es zu betonen: Nichts ist falsch daran, dass Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in der Corona-Pandemie ein besonderes Augenmerk auf die Gefährdung und den Schutz der Älteren legen. Aber unser Diskurs sollte dabei nicht einseitig auf ein Altersbild fokussieren, das ausschließlich die Metapher von der „Risikogruppe“ referiert. Zu tückisch sind hier die Gefahren des Framing, wonach unsere Sprache auch unser Denken beeinflusst. Die Begriffe, mit denen wir „Alter“ belegen, bestimmen unsere Wahrnehmung davon. Wenn Alter also wiederholt und öffentlich zum „Risiko“ erklärt wird, die schutzbedürftigen Älteren gar einer „Herdenimmunität“ der Bevölkerung entgegenstehen, dann assoziieren wir mit Alter nur noch Schwäche und Gefahr – und der Schritt bis zur Altersdiskriminierung ist nicht mehr weit. Eine Logik, die die „Jungen und Gesunden“ gegen die „Alten und Kranken“ setzt und die sich derzeit in manchen Kommentaren findet, löst Ressentiments zwischen den Generationen aus. Statt der zurzeit überzeugend gelebten Solidarität der Generationen könnte eine fortwährende Stigmatisierung der Älteren als Hindernis auf dem Weg zur Überwindung der Pandemie zu ihrer Ausgrenzung führen. Wir brauchen aber gerade jetzt eine solidarische Gesellschaft.“
Ich wünsche mir, dass wir endlich beginnen umzudenken und Gegebenheiten als die sehen, die sie sind.
Deine Alex

Quelle: https://mobil.stern.de/gesundheit/corona-ist-vernichtend—auch-fuer-unseren-blick-auf-das-alter-9217856.html

Eintrag vom 20.04.2020

Liebes Tagebuch,
heute kopiere ich lediglich einen Zeitungsbericht aus der Süddeutschen und verweise auf eine weitere kreative Idee wie gegen die Isolation von älteren Menschen angekämpft wird, diesmal in England….
„Adoptieren Sie eine Oma 13 Pflegeheime in der Nähe von London haben eine Aktion gestartet: Adopt a Grandparent, also »Adoptiert Großeltern«. Die Pfleger von CHD Living, der die 13 Pflegeheime gehören, waren besorgt, dass ihre Schützlinge zunehmend vereinsamen. »Wir wollen unbedingt die Stimmung in den Heimen positiv halten«, sagte Shaleeza Hasham von CHD, »und deshalb haben wir darüber nachgedacht, wie wir den Alltag unserer Bewohner bereichern und sie Freundschaften schließen können, ohne sich zu gefährden.«

Die Heime hatten den Adoptions-Aufruf schon im letzten Jahr gestartet, allerdings mit persönlichen Besuchen von Freiwilligen aus der Nachbarschaft. In Corona-Zeiten geht es nur noch digital. So kam es zur Idee, den Radius der Interaktionen auszuweiten: Wenn sich die Älteren schon nicht im wirklichen Leben mit interessierten Freiwilligen treffen können, wäre es doch super, wenn sie sich mit Menschen auf der ganzen Welt unterhalten könnten. Die Organisation stellte einen Aufruf ins Netz – jeder, der Englisch spricht, kann sich bewerben. Die Pfleger fragen zuerst nach Hobbys und Interessen, dann verbinden sie die Fern-Freunde via Video mit einem Heimbewohner, von dem die Pfleger denken, die beiden könnten sich was zu erzählen haben. Andere telefonieren lieber oder schicken sich handgeschriebene Briefe und Postkarten.
Der Erfolg der Aktion ist verblüffend: Mehr als 50.000 Menschen aus der ganzen Welt haben sich in der vergangenen Woche beworben; auf Instagram äußern sich die Freiwilligen enthusiastisch (»Ich kann es gar nicht erwarten, meine neuen Großeltern kennenzulernen!«), und es sind ziemlich rührende Annäherungsversuche dabei, zum Beispiel wenn die fünfjährige Freya Zeichnungen mit ihren Lieblingstieren in die Kamera hält, um sie ihrer neuen Ersatz-Oma zu zeigen, der 74-jährigen Violet.
Eine Oma oder einen Opa zu mieten, das gab es bisher auch in Deutschland schon, aber aus anderen Gründen: Familien suchten Ersatz-Großeltern, damit die bei der Kinderbetreuung helfen. Nun ist es umgekehrt: Familien und Jüngere helfen den Älteren aus der Einsamkeit. Das Problem ist massiv: Die Abschottung dient ja dazu, Leben und Gesundheit zu schützen. Gleichzeitig aber wissen Forscher, dass die Isolation auch Leben kosten kann – sie führt zu Depressionen, Demenz kann sich ohne regelmäßige Interaktionen verschlimmern, und das Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte ist gar um ein Drittel höher. »Gerade die Älteren brauchen Stimulation, vor allem auch unterschiedliche Reize, damit sie gefordert werden und im Alltagseinerlei nicht abstumpfen«, sagt eine Psychologin, die sich vor allem um ältere Klienten kümmert.
Übrigens: Wir würden auch gerne mit meiner Schwiegermutter facetimen, das scheitert aber an der Überlastung der Pfleger. Alleine kann sie die Technik nicht bewältigen, und die Pfleger machen derzeit ohnehin schon so viele Überstunden, dass sie beim besten Willen keine Zeit haben, das iPad für den Plausch mit der Familie vorzubereiten und während des Gesprächs daneben zu stehen.

Deshalb muss man auch anerkennend sagen: Die Heimbetreiber von CHD Living stellt ihren Pflegern ausdrücklich die Zeit und das Training zur Verfügung, die digitale Technik zu verstehen und mit ihren Schützlingen einzurichten. Sie erhofft sich davon mehr als eine kurzfristige Behelfslösung in Krisenzeiten: »Wir wollen das nicht nur in der Corona-Krise machen«, sagt die Heimleitung, »sondern wir hoffen, dass daraus dauerhafte Freundschaften zwischen den Generationen entstehen.« Das Beste: Viele andere Heimbetreiber fragen bereits bei CHD, wie sie das Programm kopieren können.“
Das System der weltweiten Vernetzung könnte nicht besser genutzt werden – früher waren es Brieffreundschaften….
Deine Alex

Quelle: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/die-loesung-fuer-alles/senioren-corona-hilfe-88687

Eintrag vom 21.04.2020

Liebes Tagebuch,
in Zeiten der sogenannten Corona-Krise zählt doch allein das Ziel ältere Menschen spüren zu lassen, dass sie nicht vergessen werden und ihnen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. So geschehen bei einer Malaktion der Johanniter Kinderkrippe, wo selbst die Kleinsten zu großen Künstlern und Helfern werden.
„Um trotz des Kontaktverbots in der Corona-Krise den Bewohnerinnen und Bewohnern der Nürnberger Pflegeeinrichtungen den Alltag ein bisschen zu verschönern, rief das städtische Menschenrechtsbüro mit der Nürnberger Koordinierungsstelle des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ zu einer Solidaritätsaktion auf. Die Idee fanden die Erzieherinnen der Kinderkrippe Palmsanlage aus Erlangen so klasse, dass sie sich sofort dazu entschieden, mitzumachen.“
Mit den Kindern der Notgruppe wurden Bilder gemalt und Karten gebastelt. Diese Kunstwerke wurden dann an die Pflegeeinrichtung des Nürnberg Stifts weitergeleitet und somit der Isolation mit einer Überraschung „von außen“ entgegengewirkt. Bekannt ist die Aktion auch unter #positivePost. Not macht kreativ und auch so kann Solidarität ausgedrückt werden. Man braucht nicht immer große und aufwendige Ideen, oftmals sind es die Kleinigkeiten, die Wirkung zeigen.
Deine Alex

Quelle: https://www.marktspiegel.de/nuernberg/c-lokales/kinder-machen-senioren-eine-freude_a57114

Eintrag vom 29.05.2020

Liebes Tagebuch,
so langsam wurde der Corona-Alltag wieder etwas aufgelockert, die Besuchsverbote für Alten- und Pflegeheime wurden unter den notwendigen Hygienestandards aufgehoben und der Alltag kehrt Stück für Stück wieder ein. Die mediale Berichterstattung hat sich auch wieder auf andere Themen verschoben, die stigmatisierte Risikogruppe der älteren Menschen wird nicht mehr beachtet und alles wieder sich selbst überlassen. Es scheint, als würden wir aus den vergangenen Wochen einfach nichts lernen wollen. Statt den sozialen Berufen mehr Beachtung zu schenken und ihnen Anerkennung in Form von Vergütungen und neuen Reformen entgegen kommen zu lassen, wurde das Gewissen durch tägliches Klatschen auf dem Balkon erleichtert. Und auch im Umgang mit der älteren Generation gehen wir zurück auf den bekannten Modus, der kaum Notiz von den Problemen und der Lebenssituation dieser nimmt. Auch ich nehme mich hier nicht raus und muss auch kritisch mit mir selbst sein. Und dann bin ich wieder froh, dass ich einen Wink bekomme, der mich wieder etwas besonnen werden lässt und mich auf die wichtigen Dinge, Gedanken und in die Realität zurückbringt. So geschehen, habe ich eine Zeitschrift von dem Verein Lichtblicke e.V. zugeschickt bekommen, welche den Titel trägt „Altersarmut hat viele Gesichter – auch in Zeiten von Corona“. Ich hatte ja am 31.03.2020 Geld an den Verein gespendet und scheinbar bekomme ich nun ihr Magazin. Aufgerüttelt vom alltäglichen Trott habe ich es durchgelesen und festgestellt, dass die Krise viele ältere Menschen wirklich sehr hart getroffen hat. Ich stelle fest, dass ich auf die Politik wütend werde, die es in einem reichen Land wie Deutschland nicht schafft, allen Generationen gerecht zu werden und Menschen auf Hilfen angewiesen sind, um zu überleben. Mich macht das so unsagbar traurig und ich will hier sensibler und wachsamer werden und mich nicht durch Alltag und Trott ablenken lassen. Die Probleme existieren immer und ich möchte dies zukünftig besser in meine Gedanken einfließen lassen und will hart daran arbeiten, da es mich dann doch immer wieder trifft, solche Dinge lesen zu müssen. In dem Magazin ist auch ein erneuter Spendenaufruf, wo ein Bett für eine ältere Dame benötigt wird. Ich höre mich gleich in meinem Umfeld um und da wäre sogar eines kostenfrei abzugeben. Der Verein hat nun eine Email von mir bekommen und ich bin gespannt und neugierig auf die Antwort.
Deine Alex

Quelle: Lichtblick Seniorenhilfe e.V.

Alex sind viele Dinge aufgefallen, die sie gerne verändern würde. Welche Veränderungen wünscht Du Dir für Dein Arbeitsfeld? Schreib uns diese gerne unter: https://dauerhaft-systemrelevant.de/unterstuetzen/